:innen – eine Stadtvermessung

Uraufführung am 8. Juli 2023, Stadttheater Konstanz

KONZEPT

Ziel dieses Projekts in Konstanz war eine queerfeministische Stadtvermessung, also die sitespezifische Entwicklung eines theatralen Formats im öffentlichen Raum. In den Fokus nahmen wir Gender Data Gaps. Fündig wurden wir am 2020 fertiggestellten umfassend sanierten Sternenplatz unweit des Stadttheaters. An diesem wichtigen Verkehrsknotenpunkt hat der motorisierte Individualverkehr Vorrang. Rad- und Fussverkehr werden durch die rege benutzte Unterführung darunter durchgeleitet, u.a. die einzige Möglichkeit, die barrierefrei umgebauten oberirdischen Bushaltestellen beim etwaigen Umsteigen zu erreichen. An einem Eingang der Unterführung befindet sich eine öffentliche WC-Anlage. Der wegen zu grosser Feinstaubbelastung aufgegebene Kiosk kann wegen eines schweren Wasserschadens nicht wieder eröffnet oder anderweitig benutzt werden. Durch die Unterführung ist jene Ufer-/Wasserstelle in der heutigen Seestrasse zu erreichen, an der im Mittelalter verurteilte Frauen ertränkt wurden. Von hier aus, vor den Toren der Stadt, ist sowohl die Imperia-Statue in der Hafeneinfahrt als auch der Frauenpfahl im Bodensee zu sehen. Ein geeigneter Ort, um unsichtbare Frauen* sichtbar zu machen.


Wir wissen auch, dass das antike Zeichen für Auslassung der Asterisk war – jenes Sternchen, das erst im Mittelalter die Aufgabe übernahm, eine Textstelle mit der dazugehörigen Marginalie zu verbinden. So schreibt Isidor von Sevilla in seiner im 7. Jahrhundert erschienenen Etymologiae: „Ein Sternchen – als typografisches Zeichen für Textlücken – wird dort eingefügt, wo etwas ausgelassen ist, so dass es durch dieses Zeichen hell erstrahlt, was abwesend ist.“

in: Judith Schalansky, Verzeichnis einiger Verluste, S. 131f.


INHALT/ERZÄHLUNG

Drei Frauen* des neu gegründeten Netzwerks Konstanze laden zum ersten öffentlichen Konzilium vor die Tore der Stadt. Unter dem Motto „Mann ist nicht neutral“ wollen die Gastgeberinnen* den Gäst*innen und der anwesenden TV-Journalistin erste Überlegungen zu einer Stadt für Frauen* präsentieren. Dazu nehmen sie sie mit in die Unterführung am Sternenplatz, an jene Stelle, an der sie einander kennenlernten: am Kiosk beim Feierabendbier. Hier unten kamen Imperia, die Vermesserin und die Kioskbetreiberin ins Gespräch. Hier im Untergrund schuf Nona mit ihrem Kiosk einen Ort für Frauen* und sorgte sich um deren Gesundheit. Doch ein verheerender Wasserschaden zwang sie zur Schliessung. Nach einem Broken-Heart-Syndrom muss sie sich zuhause von ihren Hühnern beglucken lassen. So ist sie nur via Videotelefonie zur Präsentation zugeschaltet.
In der Unterführung wird Themen wie z.B. der Fürsorge-Arbeit, dem Sicherheitsgefühl von Frauen* im öffentlichen Stadtraum und der Menstruation der rote Teppich ausgerollt. Die Gastgeberinnen* laden die Gäst*innen spielerisch zu Aha-Momenten ein und versuchen mit ihnen gemeinsam mittels soziometrischer Datenerhebung vor Ort Gender Data Gaps in Konstanz aufzuzeigen. Im gemeinsamen Agieren verwandeln die Akteur*innen diesen Nicht-Ort, Transitraum, potentiellen Angstraum zu einem Raum der Begegnung und des Dialogs. Genderspezifische Leerstellen und Lücken werden benannt.

Unsere Konzeption dieses Projekts als erste öffentliche Veranstaltung des fiktiven Netzwerks Konstanze, ermöglicht dem Stadttheater eine Weiterführung von :innen als z.B. regelmässiges Diskussionsformat mit Bürger*innenbeteiligung über die kommenden Spielzeiten hinweg. Vielleicht konnten wir aber auch die Gründung eines realen Frauen*netzwerks in Konstanz anstossen. „Die Zeiten gendern sich“, wie es Pinkstinks treffend formuliert.


KRITIKEN

Das ist Theater zum Anfassen und Mitdenken, es wird diskutiert und lamentiert. Es geht um Fürsorge und um aktives Handeln für Andere. […] Ein wichtiger Beitrag zur Genderdebatte, trefflichst realisiert und umgesetzt.
Südkurier

eine Unterhaltung beim Spazierengehen, über die man sich danach bei der Belohnungsbrause gut unterhalten kann. Nämlich wie man selbst die Stadt nun sehen würde […] Danach hat man andere Augen.
Singener Wochenblatt

„:innen“ schafft eine neue Perspektive – hier vom See in die Stadt. Vom Rand aus. […] Direkt am See ist das Publikum mittendrin im Geschehen, erlebt die Imperia „live und in Farbe“ und kann sich bei einer Erfrischung austauschen. Und dazu bläst ein frischer Wind durch die Konstanzer Stadtstrukturen.
seemoz

Kopfhörer auf, Perspektivwechsel an! Wer sich „:innen“ anschauen möchte, der lässt sich damit auch auf eine andere Art von Theater-Erfahrung ein. Eine im Stadtraum und mit Kopfhörern.
karla Magazin

Fotos: Achim Karl Dietz, Annina Weiss | Stills aus dem Regio TV-Journal-Beitrag*

*Bedauerlicherweise konnten wir unsere Probenarbeit nach der Geburt unseres Kindes kurz vor Premierentermin nicht wieder aufnehmen. Das Theater hat dieses Projekt zur Uraufführung gebracht.

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